Per Anhalter durch meine Galaxis - Gedanken und Geschichten nicht nur von dieser Welt

"The following statement is false:
The previous statement is true.
Welcome to our corner of the universe

Anonymous
Seefra Denizen
CY 10210"
(Andromeda: The Past is Prolix)

Sonntag, 25. März 2012

Sonntags-Pausen-Krimi 7: Seelenhandel

Seelenhandel

Vincent blickte durch die zerbrochene Fensterscheibe hinauf zum bleichen Schein des fast vollen Mondes und zuckte zusammen. Bereits heute konnte er den beginnenden Schmerz des Verlangens spüren.
Er betätigte die Spülung, durchquerte den stinkenden, gekachelten Raum und wusch sich die Hände in dem Rinnsal kalten Wassers, das mühsam ins fleckige Becken tröpfelte.
Die namenlose Frau, die draußen in der Kneipe auf ihn wartete, war schon in einem Maße betrunken, das es ihm leicht machen würde, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen.
Natürlich war sie nicht namenlos. Aber er interessierte sich nicht für Namen. Sie hatte ihn wohl erwähnt, aber er hatte nur unverbindlich gelächelt, genickt und ihn gleich darauf wieder vergessen.
Er öffnete die Tür und bahnte sich seinen Weg durch die gröhlende, trinkende, taumelnde Menge zurück zum Tisch, an dem seine Bekanntschaft mittlerweile zusammen gesunken war, ihren Kopf zur Seite geneigt. Warum mussten diese Frauen immer so viel trinken, fragte er sich jedesmal aufs Neue.
Dies war einer von vielen Abenden in den letzten knapp vier Wochen, an dem er diese Frau hier in der Kneipe gesehen hatte. Jedesmal war sie allein hereingekommen, hatte eine Menge getrunken und gewartet, bis sich jemand - meistens, nicht immer, ein Mann - zu ihr gesellte, und hatte dann mit ihrer Begleitung das Lokal verlassen. Sehr bald schon hatte er beschlossen, dass heute Nacht er der Begleiter sein müsse.
"Komm." Vincent stand am Tisch und blickte auf sie hinab. Ohne Zweifel bereitete es ihr Mühe, ihn zu fokussieren, vielleicht sogar wiederzuerkennen. Dabei hatte er höchstens fünf Minuten auf der Herrentoilette verbracht, um seine zitternden Hände zur Ruhe zu zwingen.
"Ich bring dich nach Hause," fuhr er fort. Ihr Gesichtsausdruck zeigte Unverständnis. Also ergriff er ihren Arm, legte ihn um seine Schulter und zog sie hoch. "Komm. Nach Hause," wiederholte er. Im Vorbeigehen drückte er der Kellnerin, die gerade gegen den unangemeldeten Aufbruch protestieren wollte, einen Geldschein in die Hand. "Stimmt so." Die Kellnerin ließ sie daraufhin wort- und blicklos ziehen.
Draußen auf der Straße schien seine Begleiterin vergessen zu haben, in welcher Reihenfolge sie einen Fuß vor den anderen zu setzen hatte und fing an, hysterisch zu kichern. Mit aufeinander gepressten Kiefern zog er sie vorwärts.
Sie merkte nicht, dass sie an zwei Bushaltestellen und einem von drei Wagen besetzten Taxistand vorbeikamen. Ihr war auch nicht bewusst, dass sie irgendwann an schwarzen Eisentoren vorbei einen Park betreten hatten. Immer weiter schleppte er sie hinein ins Dunkel, zwischen die Bäume, gekieste Wege entlang. Schwer atmend kamen sie an seinem Ziel an. Er legte sie auf ausgetretenen Steinstufen vor einem uralten Gebäude ab. Langsam beugte er sich über sie. Er lächelte. Ihr Gesicht sah im Mondschein noch bleicher aus. Ihr Atem ging schwer, ihre Brust hob und senkte sich schnell. Er betrachtete ihren halbgeöffneten Mund, der lautlose Worte zu formen schien. Er strich mit den Fingern ihr Haar beiseite, das ihr ins Gesicht gefallen war.
Rasch richtete er sich auf und betätigte den eisernen Türklopfer an dem schweren Tor.
"Ja? Ach Du bist es, mein Sohn."
"Mutter Oberin, diese arme Seele benötigt Beistand. Ich fand sie mehrere Tage in Folge in besagtem Etablissement."
"Ich verstehe. Bring sie herein."
Er zog sich erneut ihren Arm über die Schulter und hievte sie die Treppe hinauf und durch die schwere Tür, die dröhnend hinter ihnen ins Schloß fiel.

Als er wieder hinaus in die kalte Nachtluft trat, waren seine Haare schweißverklebt. Er schloss die Augen und lächelte zufrieden.
Eine weitere Seele war gerettet.
Dies war nicht die erste junge Frau gewesen, die er aus einer jämmerlichen Lage heraus in dieses Kloster gebracht hatte, in dem er selbst, Gnade und Verständnis für seinen Zustand erfahrend, immer wieder aufgenommen wurde.
Es war das mindeste, was er tun konnte, zog man die Art und Weise in Betracht, wie er zum ungezählten wiederholten Male die morgige Nacht, die Mitte des lunaren Zyklus, verbringen würde, und neben seiner eigenen mindestens eine weitere Seele mit ins Verderben reissen würde.
Er blickte hinauf zum bleichen Schein des fast vollen Mondes und konnte bereits den beginnenden Schmerz des Verlangens spüren.

Copyright Esther Koch 11.03.2012

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