Per Anhalter durch meine Galaxis - Gedanken und Geschichten nicht nur von dieser Welt

"The following statement is false:
The previous statement is true.
Welcome to our corner of the universe

Anonymous
Seefra Denizen
CY 10210"
(Andromeda: The Past is Prolix)

Mittwoch, 27. Juni 2012

Learning English with Lyrics: My Bonnie is over the Ocean

My Bonnie is over the Ocean ist ein traditionelles schottisches Volkslied, dessen Texter, Komponist und genauer zeitlicher Ursprung unbekannt sind. Sehr häufig findet man auch Versionen mit dem Titel My Bonnie lies over the Ocean. Welches das Original ist, lässt sich nicht sagen.
Weit verbreitet ist die Annahme, dass es sich bei dem besungenen Menschen um den von seinen schottischen Anhängern als Bonnie Prince Charlie bezeichneten Charles Edward Stuart handeln könnte, einen umstrittenen Anwärter auf den britischen Thron, der im 18. Jahrhundert lebte, und der von Schottland aus versucht hatte, die Stuarts in England und Schottland wieder an die Macht zu bringen.

Auf dieser Seite kann man sich das Lied in einer von Detlef Cordes bearbeiteten Version anhören und den Text mitlesen.

Dies ist, wie immer, eine (zugegebenermaßen plumpe, dafür korrekte) sinn- und bedeutungsgemäße Übersetzung. Wer gerne eine singbare hätte, der kann sich hier bedienen, oder auch hier.


Mein Hübscher ist jenseits des Ozeans

1. Mein Hübscher ist jenseits des Ozeans,
mein Hübscher ist jenseits des Meers.
Mein Hübscher ist jenseits des Ozeans,
oh, bringt mir meinen Hübschen zurück.

Kehrvers:
Bringt zurück, bringt zurück,
oh, bringt meinen Hübschen zurück zu mir, zu mir!
Bringt zurück, bringt zurück,
oh, bringt mir meinen Hübschen zurück.

2. Letzte Nacht, als ich auf meinem Kissen lag,
letzte Nacht, als ich auf meinem Bett lag,
letzte Nacht, als ich auf meinem Kissen lag
träumte ich, dass mein Hübscher tot sei.

Kehrvers

3. Oh weht, ihr Winde, über den Ozean,
oh weht, ihr Winde, über das Meer,
oh weht, ihr Winde, über den Ozean
und bringt mir meinen Hübschen zurück.

Kehrvers

4. Die Winde sind über den Ozean geweht,
die Winde sind über das Meer geweht.
Die Winde sind über den Ozean geweht,
und brachten mir meinen Hübschen zurück.

Kehrvers

Zurück gebracht, zurück gebracht,
oh, brachten meinen Hübschen zurück zu mir, zu mir!
Zurück gebracht, zurück gebracht,
oh, brachten mir meinen Hübschen zurück.


Grundsätzlich ist "bonnie" sowohl die männliche als auch die weibliche Form. Es könnte also theoretisch auch eine Frau besungen sein, zumal jegliche geschlechtsspezifischen Personalpronomen im Text fehlen; es geht immer nur um "my Bonnie", niemals um he/him oder she/her.
Wenn man allerdings bedenkt, dass man das Lied vermutlich mindestens bis in die 1870er zurückverfolgen kann, in eine Zeit, in der es eigentlich nur Männer ohne ihre Frauen übers Meer verschlagen hat (und nicht umgekehrt), aus welchen Gründen auch immer, dann liegt die Vermutung tatsächlich nahe, dass "my Bonnie" ein Mann ist. Entsprechend habe ich mich für die männliche Form "Hübscher" entschieden.
Das klingt zwar etwas plump, aber wie in manchen Versionen einfach "Bonnie" als Namen stehen lassen, wollte ich auch nicht. Das wäre dann als Name gedacht und würde zu sehr in die Richtung der Bonnie Prince Charlie-Interpretation deuten. Was nicht heißt, dass ich das ausschließen möchte.

"Bring back" kann sowohl "bringt zurück" als auch "bring zurück" heißen. Beides ist möglich. Zumindest in der ersten Strophe. Eine Übersetzung im Singular könnte hier ein Gebet bedeuten, bei Plural hofft der/die Hoffende, dass eventuell die Schiffscrew oder sogar andere spirituelle Mächte gut für den Reisenden sorgen und ihn sicher wieder nach Hause bringen.
Ich habe mich in der ersten Strophe ohne besonderen Grund für die Mehrzahl entschieden.

In den weiteren Strophen (3 und 4) werden "die Winde" angerufen. Allerdings nicht diejenigen, die in direktem Zusammenhang mit Lauchtorte stehen, sondern jene, die über den Weltmeeren wehen. Hey, manchmal kann sogar ich reimen! ;-)
Jedenfalls haben wir in diesen Strophen einen eindeutigen Plural!


In der zweiten Strophe treffen wir auf das Wörtchen "dreamed". In der Vokabelliste sieht man, dass die beiden Vergangenheitsformen sowohl "dreamed" als auch "dreamt" lauten können. Es heißt, "dreamed" sei dabei eher amerikanisches Englisch, "dreamt" britisches. In der Tat findet man bei einer Suche im Internet BEIDE Versionen in genau diesem Song, allerdings mit "dreamed" ungefähr fünfmal so häufig wie mit "dreamt"!
Wie kommt also die amerikanische Form in ein schottisches Volkslied? Zunächst einmal: "dreamed" ist nicht gleichermaßen amerikanisches English wie beispielsweise color (vs. BE colour), potato chips (vs. BE crisps), French fries (vs. BE chips!), hood (vs. BE bonnet für Motorhaube) oder truck (vs. BE lorry für Lastwagen). Diese Liste könnte noch seitenweise fortgeführt werden. "Dreamed" wird lediglich  h ä u f i g e r  im amerikanischen als im britischen Englisch verwendet! Und im britischen Englisch immer noch häufiger als "dreamt"!!
Zur Verwendung von "dreamed" und "dreamt" im britischen Englisch zwischen den Jahren 1700 und 2000 gibt es ein interessantes N-Gramm. Beide Formen existieren die ganze Zeit nebeneinander, um 1800 hatten sich beide Formen fast auf den Punkt in der Häufigkeit ihrer Verwendung angenähert, eine eindeutige Tendenz zugunsten von "dreamed" gibt es ungefähr seit den 1840ern.
Wenn man dies alles in Betracht zieht und daran denkt, dass man unseren Song bis mindestens 1870 zurückverfolgen kann, dann scheint ein Auftauchen von "dreamed" im Text nicht mehr ganz so merkwürdig.


Vocabulary

bonnie  -  hübsch. Ein Wort aus dem schottischen Englisch.
over - Wieder eine kleine Vokabel, mit der man eine große Karte füllen könnte. Hier nur eine Auswahl: herüber, hinüber, mehr als, über, jenseits, auf der anderen Seite  (danke an meine englische Freundin Adele für die Entscheidungshilfe in diesem Fall)
sea - Meer (Ein typischer "false friend"! Ein "See" wäre "lake"!)
to bring - bringen (unregelmäßiges Verb: bring - brought - brought)
to lie - liegen (unregelmäßiges Verb: lie - lay - lain)
pillow - Kissen, Kopfkissen
to dream - träumen ("halbunregelmäßiges" Verb: dream - dreamed/dreamt - dreamed/dreamt, siehe Anmerkung oben)
dead - tot
ye - Ein veraltetes Wort. der, die, das (vor allem in Pub-Namen), ihr (2. Person Plural in der Anrede), Sie (2. Person Singular in der höflichen Anrede)
to blow - wehen, blasen (unregelmäßiges Verb: blow - blew - blown)




Erklärung:
Die deutschen Übersetzungen der Songtexte in allen Kapiteln der Kategorie "Learning English with Lyrics" wurden nirgendwo kopiert, abgeschrieben oder sonstwie entlehnt, sondern von mir persönlich angefertigt.

Etwaige Ähnlichkeiten oder Übereinstimmungen mit bereits irgendwo in den Weiten des Internets vorhandenen Übersetzungen sind allerdings nicht rein zufällig, sondern rühren daher, dass es zwar rein theoretisch mehr oder weniger unendlich viele Möglichkeiten gibt, einen fremdsprachigen Text ins Deutsche zu übersetzen, aber nicht alle davon Sinn ergeben. Und im Falle einer Ähnlichkeit oder Übereinstimmung hat entweder der Inhaber der Seite mit der ähnlichen oder übereinstimmenden Übersetzung von mir abgeschrieben, oder wir waren uns einfach nur einig darüber, welches die beste Übersetzung ist.
Von den Inhalten der Seiten, auf die die Links dieser Seite verweisen, distanziere ich mich ausdrücklich.

Montag, 25. Juni 2012

Learning English with Lyrics: The Garden's Tale


Der Song The Garden's Tale der dänischen Heavy Metal Band Volbeat wurde vom Sänger und Gitarristen Michael Schøn Poulsen geschrieben und erschien im Jahr 2007 auf dem Album Rock The Rebel / Metal The Devil.

Wer mehr über die Herrschaften erfahren möchte, kann sich auf ihrer höchsteigenen Homepage umsehen. Wer sich dort nicht extra anmelden und einloggen möchte, kann den Text hier lesen.
Song plus Video gibt es hier.

Denen, die den Song kennen, wird auffallen, dass die nachfolgende Übersetzung komplett in deutscher Sprache ist. Also auch die Passagen, die im Originaltext auf Dänisch gesungen werden!
Hier gilt mein besonderer Dank Marc, Lars, Ma Reike, Per und Dorte für die Übersetzung besagter Zeilen in eine der Sprachen, derer ich mächtig bin, und zu denen Dänisch leider nicht gehört. Deshalb habe ich gerne gleich mehrere Übersetzungsangebote angenommen. Ich hoffe, ich gehöre zu denen, denen Dänen das durchgehen lassen. ;-) (Sorry, Otto W.!)
Außerdem danke an Wolfgang, Carmen, Tom, Scully, Sigrid und Achim für die Vermittlung derselben und dafür, dass sie meine kleine Welt damit um ein paar nette Menschen reicher gemacht haben.


Das Gartenmärchen

Die Zeit malt unaufhörlich, meine Liebste.
Sie hat alle Blumen im Garten herausgerissen.
Oh Liebling, komm nach Hause.
Ihr Engel, bringt sie nach Hause.

Inzwischen steht die Sonne über dem Hügel
Er erinnert sich an den Sommer wo sie strahlte
Verschwand im grünen Garten, und sie fand das Lied der Bäume.

Die Zeit malt unaufhörlich, meine Liebste
Und der Garten singt weiterhin das alte Lied
Oh Liebling, immer noch warte ich im Licht
In der Hoffnung, dass die Engel dich nach Hause tragen

Dieses Lied nahm die Dunkelheit in seine Pfote
Es trug seine Frau in seiner kalten Umarmung
und legte sie vor seine Tür im Seidenkleid

In der Hoffnung, dass die Engel sie nach Hause tragen.
Alles zusammen mit meiner einzigen Freundin verlassend
war ihre Schönheit leblos auf der Treppe
Oh Liebling, ich trage dich davon
Hinein in das Märchen des Gartens
Aber alles ist gestorben und zu Stein geworden
Ich legte sie nieder unter der alten Eiche
und sah alles
in alle Ewigkeit blühen

Die Zeit malt unaufhörlich, meine Liebste.
Und der Garten singt unaufhörlich das alte Lied
Oh Liebling, jetzt weiß ich, dass du im Licht bist
und alles mit deinen bunten Liedern bemalst

Inzwischen steht die Sonne über dem Hügel
Sein Schatten fällt hinaus in den grünen Garten
Verschwand für immer und ohne einen Hinweis

In der Hoffnung, dass die Engel sie nach Hause tragen.
Alles zusammen mit meiner einzigen Freundin verlassend
war ihre Schönheit leblos auf der Treppe
Oh Liebling, ich trage dich davon
Hinein in das Märchen des Gartens
Aber alles ist gestorben und zu Stein geworden
Ich legte sie nieder unter der alten Eiche
und sah alles
in alle Ewigkeit blühen

Die Zeit malt unaufhörlich, meine Liebste.
Sie hat alle Blumen im Garten herausgerissen.
Oh Liebling, du bist zu Hause
Ihr Engel, wo seid ihr?


Und wieder einmal fällt es schwer, eine Übersetzung anzufertigen, OHNE zu interpretieren. In diesem Fall: schlichtweg unmöglich!
Dies ist ein sehr poetischer Text, der viel sagt, ohne es direkt zu sagen.

Interessant ist vor allem die Zeile "Time keeps painting my darling". Hier gibt es theoretisch mindestens drei Möglichkeiten der Übersetzung.
1) "Die Zeit fertigt unaufhörlich Zeichnungen/Gemälde meiner Liebsten an"
2) "Die Zeit malt unaufhörlich meine Liebste an", durch Alterung oder gar Verwesung, denn irgendwann ist klar, wir haben es hier höchstwahrscheinlich mit einer verstorbenen Dame zu tun. Aber: Hier schlägt schon der Interpretationskobold zu!
3) Es könnte auch zwischen "painting" und "my" einfach nur das Komma fehlen. Dann hätten wir es mit einer Anrede zu tun, und die Zeile bedeutete "Die Zeit malt unaufhörlich, meine Liebste", wofür ich mich - siehe oben - schließlich entschieden habe. Denn auch in folgenden Zeilen haben wir es mit einer Anrede OHNE Komma zu tun, allerdings erkennbar am "Oh", das wir schon in Oden der alten Römer finden:

"Oh baby come home", "Oh baby still I am waiting in the light", "Oh baby I´ll carry you away into the garden´s tale", "Oh baby now I know you´re in the light", "Oh baby you´re home". Und ohne "Oh", aber dafür mit einem ebenso deutlichen "you": "you angels bring her home", "you angels where are you". Nirgendwo ein Komma nach der Anrede, warum dann nicht auch eine Anrede mit fehlendem Komma DAVOR?

Die Zeile "Leaving it all with my only friend" hat mich ganz besonders ins Schleudern gebracht. Ich habe schließlich meine plumpe Übersetzung mal wieder einer wild-phantasievollen Interpretation vorgezogen. Aber wer mag, kann bitte gerne selber mal ran. Ich wäre wirklich sehr an anderen Ergebnissen interessiert!

Nach reiflichen Überlegungen habe ich mich für oben stehende Übersetzungsversion entschieden. Die diesmal recht kurze Vokabelliste regt aber stellenweise vielleicht zu alternativen Möglichkeiten an.


Vocabulary (allerdings nur für die englischen Teile!):


to keep (on) doing sth. - andauernd etw. tun; nicht aufhören, etw. zu tun; etwas weiterhin tun
to paint - malen, streichen, anmalen, bemalen
to rip - reissen
to rip out - herausreissen
still - (immer) noch
to leave so./sth. (in diesem Fall: "it all") - jmdn./etw. verlassen (unregelmäßiges  Verb: leave - left - left)
beauty - Schönheit
lifeless - leblos, entseelt
stair - Stufe, Treppe
to lay - legen (unregelmäßiges Verb: lay - laid - laid)
oak - Eiche
to blossom - blühen, erblühen, grünen
colo(u)rful - bunt, farbenfroh


Erklärung:
Die deutschen Übersetzungen der Songtexte in allen Kapiteln der Kategorie "Learning English with Lyrics" wurden nirgendwo kopiert, abgeschrieben oder sonstwie entlehnt, sondern von mir persönlich angefertigt. (In diesem speziellen Fall noch einmal Dank an Marc, Lars, Ma Reike, Per und Dorte für die Hilfe bei den dänischen Zeilen!)
Etwaige Ähnlichkeiten oder Übereinstimmungen mit bereits irgendwo in den Weiten des Internets vorhandenen Übersetzungen sind allerdings nicht rein zufällig, sondern rühren daher, dass es zwar rein theoretisch mehr oder weniger unendlich viele Möglichkeiten gibt, einen fremdsprachigen Text ins Deutsche zu übersetzen, aber nicht alle davon Sinn ergeben. Und im Falle einer Ähnlichkeit oder Übereinstimmung hat entweder der Inhaber der Seite mit der ähnlichen oder übereinstimmenden Übersetzung von mir abgeschrieben, oder wir waren uns einfach nur einig darüber, welches die beste Übersetzung ist.
Von den Inhalten der Seiten, auf die die Links dieser Seite verweisen, distanziere ich mich ausdrücklich.






Montag, 18. Juni 2012

Häuslebau 6: Gut be-dacht


Vergangene Woche war Baupause an der Koch'schen Hütte. In der Woche davor hat sich am Dach einiges getan.


4. Juni: Ein näherer Blick auf bereits dichtes Dach und Schornstein.



 5. Juni: Noch schwer durchs Sicherheitsnetz zu erkennen: Rote Schindeln! Schön!
 


 6. Juni: Auch von innen wird es warm und dicht.


 7. Juni: Gesamtansicht. Es hat sich doch wirklich eine Menge getan bis zu diesem Zeitpunkt.

 Wer, der es nicht mitverfolgt hat, würde denken, dass es noch am 9. Mai, keinen Monat vorher, SO ....


ausgesehen hat?


Morgen ist eine dreistündige Rohbaubesprechung angesetzt für Elektro und Gas-Wasser-Schei..., äh, ja.
Wärnääär! Eckkaaaat! Die Russen kommen!



Sonntag, 17. Juni 2012

Sonntags-Pausen-Krimi 17: Kälte

Kälte

Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie diese Kälte zum ersten Mal gespürt hatte. Gelegenheiten, Situationen hatte es genug gegeben, gab es genug. Ihre deprimierende Kindheit, ihr widerlicher Job, ihre lieblose Ehe.
    Die Kälte war schon lange nicht mehr nur tief in ihr drin. Sie hatte sich langsam ausgebreitet, bis sie sie völlig ausgefüllt hatte. Und mittlerweile umgab die Kälte sie wie ein Kokon.
    Sie strich sich die Haare aus der Stirn, ließ den Arm sinken und stieß sich den Ellbogen. Warum musste so etwas immer ihr passieren?
    Wieso fiel sie immer auf die falschen Kerle herein? Zuerst waren sie nett und höflich, zuvorkommend. Bis sie hatten, was sie wollten. Dann wurden sie kalt und abweisend.
    Nur leider hatte sie den letzten aus einer Laune heraus geheiratet. Da konnte man nicht einfach so gehen. Oder wegschicken. Da konnte man sich nur noch mit einem Kokon aus Kälte schützen.
    Die Kälte umhüllte sie. Sie fror, zog die Jacke enger um sich. Es war Juni, wie konnte sie nur dermaßen frieren?
    Sie wollte die Beine übereinander schlagen, und ein heftiger Schmerz durchfuhr ihr Knie. Schon wieder gestoßen.
    Heute war sie wieder besonders ungeschickt. Deshalb hatte ihr Mann sie auch aus der Küche gejagt, weil er die Drinks heute Abend lieber selbst mixen wollte. Damit sie nicht wieder alles verschüttete.
    Ein Cocktail am Abend. Schweigend natürlich. Ihre letzte Gemeinsamkeit.
    Er kam mit den Gläsern aus der Küche. Sie wollte aufstehen und ihm entgegengehen. Der Schmerz an ihrer Stirn nahm ihr den Atem! Wo sollte sie sich denn jetzt gestoßen haben? Die Lampe über dem Esstisch hing nicht tief genug.
    Ihr Mann kam mit den Gläsern auf sie zu, und mit ihm eine immer größere Kälte.
    Sie spürte nun, dass ihr das Atmen schwer fiel. Eine Hand auf der Brust, streckte sie ihm die andere entgegen. Vielleicht würde sie nach einem Drink wieder leichter Luft bekommen.
    Das Knacken und Stechen in ihren Fingern ließ sie aufschreien, als diese heftig gegen einen Widerstand krachten.
    Lächelnd hielt ihr Mann ihr das Cocktailglas entgegen. Sie ignorierte es und tastete stattdessen mit den Händen vorsichtig um sich, um die unsichtbare Barriere zu finden. Oben, vorne, rechts, links. Sie war umgeben von … was?
    Die Luft war inzwischen unerträglich dick und eiskalt. Lange würde sie nicht mehr bei Bewusstsein bleiben können.
    Auch ihren gesamten Rücken hinauf spürte sie jetzt einen einzigen Druck, Berührung. Ihr Gesäß, ihre Beine, die Fersen … sie saß nicht am Esstisch! Sie lag!
    Während sie nach Luft schnappend weiter ihre Umgebung abtastete, sah sie sich selber das Cocktailglas ergreifen.
    Sie erfühlte Seidenstoff und Polster um sich herum und spürte das Getränk warm ihre Kehle hinabrinnen.
    Sie griff sich wieder an die Brust und fragte sich, wann sie sich diese schreckliche Rüschenbluse angezogen hatte, während sie sich über den ungewohnt bitteren Geschmack des Cocktails wunderte.
    Sie versuchte vergebens, den dickgepolsterten Widerstand vor sich .. über sich … fortzuschieben. Ein kraftloser, ungehörter Schrei begleitete die Erinnerung an das Glas, das ihr zerbrechend aus der Hand fiel, ihren Sturz vor die Füße ihres immer noch lächelnden Mannes, die scheinbar fruchtlosen Wiederbelebungsversuche der Sanitäter, die Stimmen ihrer Angehörigen während der … Trauerfeier.
    Ihre verzweifelten Versuche, mit den Menschen um sie herum Kontakt aufzunehmen, ihnen mitzuteilen, dass das Gift nicht gewirkt hatte! Dass sie … noch lebte!
    Und die Kälte, von der sie für immer erfüllt und umfangen sein würde, nachdem sich der Deckel über ihr geschlossen hatte.


Copyright Esther Koch 15. Juni 2012

Sonntag, 10. Juni 2012

Sonntags-Pausen-Krimi 16: Beichtgeheimnis

Beichtgeheimnis

Die hölzerne Tür öffnet sich leise und wird geschlossen, das Knarren der alten Bodenbretter und der Kniebank. Geräusche, tausendfach gehört, in der Friedlichkeit des Hauses.
    "Gelobt sei Jesus Christus." Worte, tausendfach gesprochen.
    Jedoch die Antwort bleibt aus, nur ein tiefer Atemzug aus dem dunklen Nachbarverschlag ist zu vernehmen.
    Doch dann, ganz leise: "Amen ..." gefolgt von weiterer Stille.
    Der Gast zögert. Eine Einladung: "Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke dir wahre Erkenntnis deiner Sünden und seiner Barmherzigkeit."
    Wieder Schweigen, nur das dumpfe Rascheln von Kleidungsstücken.
    "Erleichtere dein Gewissen, dein Herz und deine Seele, mein Kind. Der Herr hat ein offenes Ohr für alle."
    Ein kalte Männerstimme erklingt, nicht mehr so leise wie zu Beginn.
    "Hat er auch mehr Geduld als Sie ... Vater?"
    "Ich wollte dich nicht hetzen. Nur ermutigen. Nimm dir soviel Zeit, wie du brauchst."
    "Nun denn. Vergib mir ... Vater ... denn ich habe gesündigt ..."
    Eine erneute Pause. Mit zusammengekniffenen Augen versucht der Geistliche durch das Holzgeflecht in das andere, ebenso dunkle Abteil zu spähen. Er nimmt eine undeutliche Bewegung wahr.
    "Wann ... wann warst du das letzte Mal bei der heiligen Beichte, mein Sohn?"
    "Ich kann mich nicht genau erinnern ... Vater. Es ist ... eine Ewigkeit her. Eigentlich ist es gar nicht mehr wahr. Ich würde fast sagen ... nie."
    "Noch nie? Gehörst du nicht der katholischen Kirche an?"
    "Aber Vater, das tun wir doch alle, oder nicht? Muss ich Sie denn daran erinnern, dass kata holos umfassend bedeutet? Für alle?"
    Der Priester seufzte leise. "Was führt dich denn an diesem Tag zur Beichte?"
    "Ich habe gehört, dass Sie den besten Trost spenden, Vater."
    "Oh, das bin nicht ich, mein Sohn. Das sind Jesus Christus und der allmächtige Vater, die den Trost spenden."
    "Aber Sie machen es glaubhaft, heißt es."
    "Auch der Glaube kommt nicht von mir. Den musst du in dir selbst finden."
    "Und wenn ich ihn in mir nicht finden kann?"
    "Ist es das, worüber du sprechen möchtest? Deine Suche nach dem Glauben?"
    "Nein, Vater. Es ist nicht meine Suche, um die es geht."
    "Nun, dann beginne doch einfach mit der Bekenntnis deiner Sünden."
    Der Gast kichert. "Ich weiß nicht, Vater, wo ich anfangen soll. Ich bin so vieler ... Vergehen schuldig."
    "Nun, mein Sohn, wir sind alle nur Menschen."
    "Meinen Sie?"
    "Erzähle mir einfach, was dir als erstes in den Sinn kommt."
    "Nun ja, lüsterne Gedanken. Frauen, Geld, Macht. Danach verlangt es mich."
    "Mit solchen Gedanken bist du nicht allein, mein Sohn."
    "Und manchmal auch nach Männern."
    "Oh."
    "Bin ich auch damit nicht allein, Vater?"
    "Wir haben alle unsere Fehler."
    "Auch Sie ... Vater?"
    "Selbstverständlich."
    "Gelüstet es Sie auch manchmal nach Männern?"
    "Mein Sohn, dies ist DEIN Gespräch mit dem Herrn. Nicht meines."
    "Na klar. Verzeihung. Ja. Macht. Und Reichtum. Guter Geschmack hat seinen Preis. Nicht wahr, Vater?"
    "Sprich einfach weiter, mein Sohn."
    "Ich habe selbst nie gestohlen oder getötet."
    "Aber?"
    "Woher wollen Sie wissen, dass jetzt ein Aber folgen muss?"
    "Ich weiß es nicht, mein Sohn. Folgt es denn?"
    "Oh ja, Vater."
    Der Mann kichert erneut. "Das Stehlen und Morden. Das haben andere für mich gemacht. Hundertfach. Tausendfach. MILLIONENFACH. Ich liebe dieses neue Zeitalter. Sie nicht auch, Vater? Die Gesetzeshüter sind die eigentlichen Kriminellen. Und in Wahrheit sind die Sünder die Heiligen."
    Der Priester zieht scharf die Luft ein. Er hat es mit einem Geisteskranken zu tun.
    "Geben Sie es zu … Vater. Die Sünden, die Sie hier zu hören bekommen, sind doch bestimmt heutzutage viel interessanter als früher, oder?
Der Geistliche bemüht sich, die Fassung zu bewahren.
    "Fahren ... fahren Sie doch fort."
    "Was denn, bin ich plötzlich nicht mehr Ihr Sohn ... Vater?"
    "Du wirst immer des allmächtigen Vaters Sohn sein."
    Schallendes Gelächter ertönt. "Ja, ich habe es miterlebt, wie der allmächtige Vater mit seinen Söhnen umgeht."
    "Miterlebt?"
    "Ich habe das Wasser in die Schale gegossen, in der Pilatus seine Hände wusch. Immer und immer wieder."
    "Wovon sprichst Du?"
    Der Gast lehnt sich nah an das Holzgeflecht, flüstert, unüberhörbare Begeisterung in der Stimme. "Ich spreche davon, dass ich Freudentänze aufgeführt habe während des Schauspiels, das mir europäische Könige und Königinnen geboten haben, zehn, zwanzig, dreißig Jahrzehnte lang, im Kampf gegeneinander und im Namen ihrer selbsterschaffenen Götter.
    Ich spreche von den Romanows, die ich meinem Zeitenwandel geopfert habe. Die töricht romantische Hoffnung einer Handvoll Träumer, dass mir die Eine entkommen sein könnte, hat sogar später noch für ein bisschen Spaß gesorgt.
    Ich spreche von dem Panzer, den ich während des Blitzkriegs gelenkt habe, nur aus Spaß an der Freude, bevor ich mich zum General habe ernennen lassen, um das Spektakel bequemer beobachten zu können. Sie werden sich wundern, Vater, aber Leichengestank ist nicht mein Ding.
    Ich spreche davon, dass ich die Frage beantworten kann, wer John Fitzgerald und Robert Francis ermordet hat! Und wenn Sie in Ihr Herz hineinsehen, dann können Sie das auch!
    Das, Vater, ist nur eine kleine Auswahl meiner Sünden. Gestohlene Seelen, zerstörter Glaube.
    Aber die größte Sünde, Vater, ist wohl die, dass ich lüge. Ständig. In jeder Beziehung. Dass ich vorgebe, etwas zu sein, das ich nicht bin. JEMAND zu sein, der ich nicht bin. Ich lege falsches Zeugnis ab, wo immer ich kann. Aber damit ... Vater ... wie Sie sagten, bin ich ja nicht alleine. Nicht wahr? "
    Der Priester spürt den Angstschweiß auf seiner Stirn. "Wer … bist ... du?"
    "Oh, nur ein armer Sünder, den es nach Absolution verlangt."
    "Nein."
    "Oh doch. Mein Jesus, dies sind alle meine Sünden, die mir bewusst sind …"
    Er will schreien, doch nur ein Krächzen kommt aus seiner Kehle: "Halten Sie den Mund!"
    "Haben Sie Ihren Text vergessen, Vater? Deus, Pater misericordiarum, qui per mortem et resurrectionem Fílii sui …"
    Der Schrei gelingt ihm fast: "Niemals!"
    "… mundum sibi reconciliavit et Spiritum Sanctum effudit in remissionem peccatorum, per ministerium Ecclesiae indulgentiam tibi tribuat et pacem."
    Ein weiterer Versuch in Verzweiflung: "Ich verbiete Ihnen …!"
    "Sprechen Sie mir einfach nach, Vater: Et ego te absolvo a peccatis tuis in nomine Patris, et Filii, et Spiritus Sancti. Amen."
    "ICH WILL JETZT WISSEN, WER SIE SIND!"
    Der Gast atmet tief ein und langsam wieder aus, zufrieden. "Aber das weisst du doch längst. Ich bin der, der alles kann, außer sterben und wieder aufsteigen.
    Ich bin der, der dir deinen größten Traum erfüllen kann. Ich kenne deinen Wunsch. Auch du bist ein Mensch wie alle anderen. Von Ehrgeiz zerfressen."
    Der Priester fragt sich, warum er eigentlich weiter spricht, warum er nicht davonlaufen kann. "Mein einziger Wunsch ist es, der Mutter Kirche zu dienen."
    "Ja, das weiß ich. Aber auch du bist nicht ganz ehrlich. Denn du hast deine eigene Vorstellung, wie du deiner … Mutter am besten dienen könntest. In welcher Position."
    "Was meinen Sie damit?"
    "Das höchste Amt der Kirche. Du willst es. In deinen geheimsten Träumen. Die sind mir nicht verborgen."
    "Es ist besser, wenn Sie jetzt gehen."
    "Ich habe recht, nicht wahr? Ich weiß es."
    Nun ist es am Priester, zu lachen. "Ich bin nicht einmal Bischof. Danach steht noch die Kardinalswürde. Mein Wunsch ist menschlich. Auch ich beichte meine Sünden. Und selbstverständlich ist das eine, die mich immer wieder heimsucht. Auch wenn mein … Ehrgeiz mir zu schaffen macht, weil ich weiß, dass er falsch ist, ein Wunsch, der sich nie erfüllen wird, ist ein ungefährlicher."
    "So? Ich werde jetzt gehen, wie du es gewünscht hast. Das wird sich also schon einmal erfüllen."
    "Das ist ja kein Hexenwerk."
    "Und doch … Teufelswerk." Lachen. "Wenn du gleich deine Kabine da drüben verlässt, wirst du dich an diese Begegnung nicht mehr erinnern. Sie wird dir erst wieder ins Gedächtnis gerufen, wenn du in einigen Jahren, an einem ganz gewöhnlichen Donnerstag nach Hause kommst und deine Haushälterin mit einer Nachricht auf dich wartet. Und dann wirst du dich noch einmal fragen müssen, ob dein Wunsch wirklich so unerfüllbar und … ungefährlich ist."
    "Was für eine Nachricht?"
    "Soll ich dir die Überraschung wirklich verderben? Na gut. Du kannst es dir aber sicher schon denken. Es wird deine Ernennung zum Bischof sein. Noch bevor du dein halbes Jahrhundert auf dieser Welt vollendet haben wirst, wird man dich zum Bischof ernennen, kurz nach der Vollendung, weihen.
    "Was? Unmöglich."
    "Wieso denn? Du leistest gute Arbeit. Das wird anerkannt werden. Außerdem prophezeihe ich dir die Ernennung zum Kardinal binnen eines weiteren Monats."
    "Unsinn! Weiche von mir, Luzifer!"
    "Aaah, ich wusste, dass ich mich standesgemäß genug vorgestellt habe."
    "Warum? Warum ich?"
    "Ach, jetzt halt dich nicht für so unglaublich wichtig. Mir war langweilig. Das alles geht schon wirklich ewig. Ich kann alles tun, was ich will. Und niemand stellt sich mir in den Weg. Nach all den Jahrhunderten. Jahrtausenden. Äonen. Wird es einfach langweilig.
    Und deine Kirche lag auf dem Weg."
    "Auf dem Weg? Wohin?"
    "Das braucht dich nicht zu interessieren. Politik wird erst noch zu deinem Geschäft werden."
    "Aber, wenn Sie … der … Wie können Sie denn … in einer Kirche?"
    "Uh, hach, heiliger Boden, Highlander!" Lautes Lachen erklingt. "Du hättest erwartet, hier vor mir sicher zu sein? Dachtest du, der … Leibhaftige geht in Flammen auf angesichts des Gekreuzigten? So billig bin ich nicht. So einfach mache ich es Euch nicht. Dann würdet Ihr mich ja sofort erkennen. Immer und überall. Euer Gekreuzigter kann Euch schützen, oh ja. Aber ob er es kann, liegt nicht an irgendwelchen chemischen Reaktionen zwischen ihm und mir, sondern an der Chemie zwischen ihm und Euch! Gebt nicht immer mir die Schuld an allem Schlimmen, das passiert."
    "Ich … möchte … dass Sie jetzt gehen."
    Knarrendes Holz in der Dunkelheit. "Wunsch erfüllt. Aber wir sehen uns wieder. Wenn der Herr Bischof der Herr Kardinal ist, und wenn dann innerhalb weiterer drei Dekaden ein … Heiliger Vater vor seinen Schöpfer tritt. Dann werden wir uns wieder sehen. Denn für diesen letzten Schritt wirst du möglicherweise wieder meine Hilfe benötigen. Und du weisst ja. Umsonst ist nur der Tod."
    "Gehen Sie jetzt … bitte."
    "Und solltest du in Erwägung ziehen, diese oder die andere Ernennung abzulehnen, eine Warnung: Zachäus hat sich später in den Hintern gebissen.  Einen Augenblick der Schwäche, des schlechten Gewissens, und der Blödmann schenkt alles her, was er sich in Jahrzehnten mit meiner Hilfe aufgebaut hat. Und nicht nur das. Er war nicht nur seinen Reichtum los, sondern auch seine Seele, die er meinte, mit dieser angeblich ach so selbstlosen Aktion retten zu können."
    "VERSCHWINDEN SIE!"
    "Sie erheben die Stimme in Ihrer Kirche, Vater? Sie wissen, dass das nichts bringt. Ich bekomme, was ich will. Mit oder ohne Gegenleistung meinerseits."
    Der Priester stürzt aus dem Beichtstuhl, läuft zur anderen Tür hinüber und reißt sie auf. Beim Anblick der leeren Kabine fragt er sich, was er eigentlich hier will.
    Er wendet sich zu den beiden alten Frauen um, die dort warten und ihn entsetzt anschauen, als sei er … der Leibhaftige. Warum erschaudert er bei diesem Gedanken gerade jetzt mehr als sonst?
    Den beiden Frauen so freundlich wie möglich zulächelnd macht er sich auf den Weg zurück in seinen Beichtstuhl.

Copyright Esther Koch 07. Juni 2012

Sonntag, 3. Juni 2012

Sonntags-Pausen-Krimi 15: Barbaren

Barbaren

Mein Name ist Breadalbane. Travis Breadalbane.
    Ich bin der einsamste Mensch auf der Welt.
    Einerseits ist das korrekt, andererseits ist die Formulierung nicht ganz akkurat, da ich mich nicht auf der Welt befinde. Sondern auf Luna, dem einzigen Trabanten des dritten Planeten von Sol.
    Ich schreibe das Jahr Zwölf nach dem Vierten Großen Krieg.
    Vor dreizehn Jahren sind wir hier heraufgekommen, um den ersten Siedlern endgültig den Boden zu bereiten. Die Vorbereitungen waren fast abgeschlossen, die politische Lage schien stabilisiert. Wieder einmal.
    Wir hatten gehofft, dass wir aus dem Dritten Großen Krieg gelernt hätten. Wie wir auch gehofft hatten, aus den ersten beiden Großen Kriegen gelernt zu haben. Wie aus all denen davor. Aber wir waren und blieben Barbaren und würden es immer sein. Hätten wir es damals bis zum Mars geschafft, das hätte auch nichts geändert.
    Barbaren.

    Meine drei Kollegen und ich wurden vor dreizehn Jahren nach Luna geschickt. Als Ablösung für die Mannschaft vorher. Die letzten sechs Monate der Vorbereitung hätten vor uns gelegen. Dann sollten die Siedler kommen.
    Sie kamen nicht.
    Und wir blieben.
    Denn es war niemand mehr da, der uns hätte nach Hause holen können.
    Nach Hause.
    Sicher waren noch welche übrig geblieben. Aber das Siedlungsprogramm wurde eingestellt. Eine Woche bevor der erste Barbarenhäuptling seinen fetten Daumen auf das Lesefeld des Computers legte, um dem dritten Planeten endgültig den Garaus zu machen.
    Damit hatte er sich seinen Platz in der Geschichte gesichert. Ein großer Name, dessen man in Zukunft nicht ohne Schaudern gedenken würde.
    Berühmt ist er geworden. Berühmter als all die krieganzettelnden Barbaren vor ihm.
    Aber wer wird sich seiner erinnern?
    Was nützt es, sich einen Ruhm zu schaffen, indem man alle umbringt, die einen noch rühmen könnten?
    Das ist wie Robinson, der sich auf seiner Insel aus dem einzigen Baum ein Rettungsboot baut. Und dann muss er feststellen, nachdem er ihn gefällt und ausgehöhlt hat, dass der Baum zu weit von der Küste weg liegt. Und dass er alleine nicht stark genug ist, ihn zum Wasser zu ziehen.
    Wir hätten auf den Bäumen bleiben sollen.
    Oder in unseren Höhlen.
    Aber jetzt sitze ich hier auf Luna. In einer menschenleeren Riesenstadt.

    Magnabosco, Aron und Rossjanskij. Meine Kollegen. Nette Kerle. Mit Familie. So wie ich.
    Wir ließen alles und alle auf dem dritten Planeten zurück. In der Gewissheit, in einem halben Jahr alles wiederzubekommen. Alle wiederzusehen. Hier, auf Luna, unserem neuen, zukünftigen Zuhause.
    Dann hat der Barbarenhäuptling den Knopf gedrückt. Den Baum gefällt, auf dem wir alle saßen.
    Und alles war weg. Alle ... waren weg.
    Nur wir waren noch da. Hier, auf dem anderen Himmelskörper.
    Ich glaube, es waren zwei oder drei Tage, in denen wir nur dasaßen. Schwiegen. Löcher in die Wände unserer Unterkunft starrten.
    Uns blieb nichts weiter zu tun, als auf den Tod zu warten. Oder ein Wunder. Oder den Wahnsinn.

    Irgendwann erinnerte man sich an uns. Die paar, die auf dem Planeten noch lebten. Irgendwer verirrte sich in die Zentrale, legte ein paar virtuelle Hebel um, sprach ein paar Worte, drückte sein Bedauern aus.
    Keiner mehr da, der uns die Möglichkeit zur Rückkehr schaffen könnte. Keiner mehr da, der uns empfangen, begrüßen würde.
    Wir sollten uns glücklich schätzen, dass wir überleben dürften ...
    Wir hatten eine ganze lunare Stadt für uns. Sauerstoff, Vorräte für Einhunderttausend. Nur für uns Vier. Keine Verpflichtungen mehr, keine Regeln, keine Gesetze. Keine Zukunft.

    Rossjanskij verlor als erster den Verstand. Faselte irgendwas vom Bau einer Rakete, wie in alten Zeiten. Wollte zum Planeten zurück. Fing an, Zeichnungen an Wände zu kritzeln. Entwürfe, Berechnungen. Flugbahnkalkulationen.
    Aron fand ihn eines Morgens mit durchschnittener Kehle im Korridor zu Landerampe Drei.
    Als Aron nach einigen Tagen wieder klar denken konnte, wurde ihm bewusst, was ihn an dem Bild gestört hatte. Rossjanskij, auf dem Boden, in seinem Blut, die Augen verdreht, alle Viere von sich gestreckt.
    Und keinerlei Waffe, Messer, Nagelfeile, Schraubendreher in seiner Reichweite. Nichts, womit man sich selbst die Kehle hätte zerfetzen können. Nicht mal Fingernägel, die lang genug waren.
    Aron fing also an, zu behaupten, es sei kein Selbstmord gewesen. Einer von uns hätte Rossjanskij umgebracht.
    Er quatschte von nichts Anderem mehr. Wurde besessen von dem Gedanken. Schloss sich in seinem Quartier ein. Kam nur heraus, um seine Vorräte aufzufüllen.
    Magnabosco und ich hielten aber trotzdem ein wachsames Auge auf Aron. Wer konnte denn dafür garantieren, dass er Rossjanskij nicht selbst abgeschlachtet hatte, in seinem Wahnsinn?
    Und ich behielt Magnabosco im Auge.
    Nicht wachsam genug allerdings, wie sich irgendwann herausstellte.

    Eines nachts hatte ich Aron wieder einmal irre kichernd durch die Korridore rennen hören, auf dem Weg zu einem der Vorratshangars. Ich stand leise auf und überprüfte die Verriegelung meines Quartiers, was eigentlich nicht nötig gewesen wäre, weil ich, seitdem Rossjanskij verreckt war, immer darauf achtete, dass mich niemand im Schlaf überraschen konnte.
    Auch diesmal war alles in Ordnung.
    Am nächsten Morgen signalisierte die Anzeige am Kontrollpult des Schaltraumes unserer Wohnebene einen Druckabfall im Vorratshangar. Eine Überprüfung ergab, dass der Hangar von außen verriegelt war, Druck und Sauerstoff standen auf Null.
    Zuerst dachten Magnobosco und ich daran, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Den Hangar komplett versiegeln und unsere Vorräte zukünftig aus einer der anderen Ebenen zu holen, vielleicht sogar die Wohnebene komplett zu verlassen.
    Aber im Weltraum will man keine undichten Stellen an irgendeiner Außenwand seines Lebensraumes haben. Also zogen wir unsere Raumanzüge an, schlossen die Luftschleusen um den Hangar und öffneten ihn.

    Aron lag innen am Schott, mit weit geöffnetem Mund, aufgerissenen Augen, Lebensmittel um sich verstreut. Überhaupt ein gewaltiges Chaos im gesamten Hangar. Er hatte wohl mitbekommen, dass mit Sauerstoff und Druck etwas nicht stimmte und das Leck gesucht. Warum war er nicht einfach abgehauen? Weil der Hangar nicht von innen geöffnet werden konnte, wenn das Schott erst einmal geschlossen war. Und es gab eine ausreichende Sicherung, dass sich das Schott nicht aus Versehen schloss, um eben solche Unfälle zu vermeiden. Obwohl es eigentlich ursprünglich ja gar nicht vorgesehen war, dass sich Personen alleine im oder in der Nähe des Hangars aufhielten. Mittlerweile hätte es ja hier von Siedlern wimmeln sollen ....

    Das Hangarschott war also von außen geschlossen worden, als Aron drin war!
    Wir stellten den Normaldruck wieder her, fluteten den Hangar mit Sauerstoff und überprüften die Anzeigen. Sie erreichten Normalstand. Wir warteten und beobachteten. Keine Veränderung mehr.
    Es gab kein Leck.
    Jemand hatte den Hangar von außen manuell entlüftet, nachdem er Aron darin eingesperrt hatte!

    Magnabosco und ich starrten einander an.
    Lange.
    Dann, ohne den Blick vom anderen anzuwenden, gingen wir zu den Ausgängen des Schaltraumes, die in entgegengesetzten Richtungen voneinander lagen.

    Ich schloss mich in meinem Quartier ein. Zum letzten Mal. Ich packte meine Habseligkeiten in ein paar Taschen und schlich davon.
    Stundenlang wanderte ich durch die leere Stadt und suchte mir eine andere Wohnebene aus, weit entfernt von der alten. Ich nahm an, dass Magnabosco das Gleiche tun würde und hoffte nur, dass sein neuer Wohnort nicht zu nah an meinem liegen würde.
    Wären wir auf diese Idee schon früher gekommen, direkt nach der Sache mit Rossjanskij, dann hatte es möglicherweise Aron nicht auch noch erwischt.

    Als ich einen neuen Vorratshangar gefunden hatte, sicherte ich den dazugehörigen Schaltraum durch mehrere Kodierungen. Auch die Kontrollzentrale für die Belüftung der Quartiere sicherte ich. Schließlich wollte ich nicht eines nachts im Schlaf von eingeleitetem CO2 oder Ähnlichem erstickt werden.
    Ich stellte Bewegungsmelder auf und überwachte sie zentral von meiner eigenen Unterkunft aus.

    In der Tat vergingen einige Jahre, ohne dass ich von Magnabosco gestört wurde. Ich nutzte die Zeit, um mich der umfangreichen Text-, Bild-, Video- und Audio-Bibliothek zu widmen, die die Zuständigen zum Glück bereits in die lunaren Datenbanken geladen hatten, bevor der Barbarenhäuptling auf dem dritten Planeten durchgedreht war.
    Außerdem hatte ich mir ein ansehnliches Waffenarsenal zugelegt. Zwar alles Marke Eigenbau, aber im Notfall effektiv. Ich war stolz darauf. Wie jeder andere kleine Barbar es gewesen wäre.
    Und ich hatte mein Bewegungsmeldernetzwerk ziemlich stattlich erweitert und verbessert. Ich arbeitete bereits an der Entwicklung von Selbstschussvorrichtungen und hatte auf der gesamten Wohnebene Überwachungskameras installiert.

    Vor ungefähr drei Monaten riss mich das Alarmsignal meiner Bewegungsmelder aus dem Schlaf.
    Magnabosco!
    Hatte er nach mir gesucht, oder war er zufällig hierher geraten? Wenn er mich gesucht hätte, wäre es der bequemere Weg gewesen, das elektronische Kommunikationssystem in Gang zu setzen und auf Antwort zu warten. Aber nur, wenn er gewollt hätte, dass ich etwas von seiner Suche nach mir mitbekomme! Zum Glück lag das Überraschungsmoment auf meiner Seite.
    Ich schwang mich geräuschlos aus dem Bett und schnappte mir zwei handliche Waffen. Auf keinem der Monitore meiner Überwachungskameras konnte ich ihn entdecken. Dieser gewiefte Hund! Wollte er sich doch tatsächlich an mich heranschleichen.

    Wir belauerten einander. Tagelang. Wochenlang. Immer wieder schlugen meine Bewegungsmelder Alarm. Immer wieder zeigten meine Kameramonitore ... nichts. Der Schlafmangel fing schon an, mir zuzusetzen.

    Aber lange werde ich mir darüber keine Gedanken mehr machen müssen.

    Das Schlimme war nicht der Anblick von Magnabosco, wie er da vor drei Tagen im Korridor zum Schaltraum lag, mit gebrochenem Genick und eingeschlagenem Schädel. Ich fragte mich unwillkürlich, was von beidem wohl die Todesursache gewesen war. Als ob das noch eine Rolle spielte.

    Auch nicht das Blut, mit dem meine Hände und meine Kleidung natürlich beschmiert waren, weil ich ihn ja herumgedreht hatte. Oder die Tatsache, dass das kleine Beil, das ihm zwischen den Augen steckte, die Inventarnummer meines jetzigen Quartiers trug ...

    Das wirklich Schlimme waren zum einen die Buchstaben an den Wänden. Wörter. Ich trat zurück, um den Sinn zu erfassen.
    Nicht.
    Allein.
    Den dicken schwarzen Permanentmarker hielt Magnabosco immer noch in der Faust.
    Ich drehte mich herum.
    Überall sah ich es.
    Ich fing an, die Korridore entlang zu laufen. Die Freizeit- und Einkaufspassagen. Wände. Schaufensterscheiben.
    Überall:
    Nicht.
    Allein.

    Er war offensichtlich durch die gesamte Stadt gelaufen. Stellenweise lag ein Marker ohne Kappe mitten auf dem Weg. Wieviele davon hatte er wohl leergeschrieben? Und was hatte er nur damit gemeint? Vermutlich war er einfach nur irre geworden, wie die anderen beiden Barbaren vor ihm.

    Ich ging zurück und wickelte Magnabosco in ein Laken. Dann schob ich ihn in eine der Abfallentsorgungsschleusen und schoss ihn ins Vakuum hinaus.

    Heute - und DAS macht mir jetzt wirklich zu schaffen - habe ich verstanden, was Magnaboscos Worte bedeuteten.

    Als ich, Travis Breadalbane, der einsamste Mensch auf der Welt, der letzte Überlebende des Luna-Kolonisations-Programmes, im Jahr Zwölf nach dem Vierten Großen Krieg ein letztes Mal von meinem Bewegungsmelder aus dem Schlaf gerissen wurde!



Copyright Esther Koch 01. Juni 2012

Samstag, 2. Juni 2012

Klospotting

Auf eindringlichen Wunsch meines werten Freundes Wolfgang folgen nun die Fotos der zukünftigen Koch'schen Toilette mit "Soft Close" und "Take-Off"!





Zufrieden, Wolferl? ;-)

Freitag, 1. Juni 2012

Häuslebau 5: Richtfestwoche!

Für diese Woche - Donnerstag oder Freitag - war ja seitens des Bauleiters das Richtfest angekündigt.
Unerschütterlich war unser Vertrauen in seine hellseherischen Fähigkeiten, obwohl ja Anfang der Woche noch kein einziges Stück Holz auf dem Dach lag.


 29. Mai: Immerhin ist hinten schon ein Abfangnetz zu erkennen.



 30. Mai abends: Netz vorne, aber immer noch kein einziger Balken. Oder sind das die berühmt-berüchtigten Dachlatten?



 31. Mai: Aaaaber dann doch! Richtfest! 
Angesichts der Geschwindigkeit, mit der das Gesamtwerk in den letzten Wochen gewachsen ist, hätten wir uns doch eigentlich nicht wundern sollen.



 Und unter diesem schmucken Holzgestell entsteht übrigens dereinst mein höchsteigenes Büro!
Room with a view!
Und vor allem:
A room of my own! ;-)





1. Juni: Und damit es übers Wochenende nicht hineinregnet, wurde das Dach auch schnell noch dicht gemacht.
Zur Belohnung gab's mittags für die fleißigen Handwerker noch einen Schwung übriggebliebenen Leberkäs und Kartoffelsalat. Vor allem gedacht für diejenigen, die beim Richtfest nicht mehr dabei waren. Außer den Zimmermännern (Zimmermannen?) waren ja alle bereits in den Feierabend verschwunden.


Unmittelbar vor dem Richtfest haben wir, quasi zwischen noch nicht vorhandener Tür und Angel ebensolche plus die Fenster direkt auf der Baustelle bemustert.
Und morgen gibt's, wie gesagt, Klospotting.