Sabine hob den Löffel zum Mund und blies zärtlich Luft durch ihre gespitzten Lippen. Erbsen, Karotten, ein paar frische Zwiebeln.
Die gefüllte Porzellanschale in der einen, den Esslöffel in der anderen Hand schlenderte sie aus der Küche und gab dabei Acht, nicht über die Beine ihres Mannes zu stolpern, der im Sterben ungeschickt ins Esszimmer hinein gestürzt war.
Sie blieb neben der Leiche stehen und aß einen weiteren Löffel voll. Junge Kartöffelchen und ein wenig angebratenen Speck.
Sabine liebte Gemüseeintopf. Viel Gemüse, nicht zuviel Brühe, nur ab und zu mal Fleisch. Sie hatte immer ein paar Portionen im Haus.
Während sie genüsslich einen Speckwürfel zerbiss, betrachtete sie den langsam wachsenden Blutfleck auf dem hellen Teppich.
Sie fischte ein besonders schönes Stück Karotte aus der Schüssel und erinnerte sich. Roland war mal wieder spät nach Hause gekommen. Sie wusste, dass er nicht aus dem Büro kam, sondern von "ihr". Sabine regte sich schon längst nicht mehr auf, wenn er heim kam, sich bedienen ließ und an allem herummeckerte, um einen Grund zu haben, wieder wegzugehen. Zurück zu "ihr".
Sabine ließ eine Scheibe Lauch auf der Zunge zergehen. Früher hatte Roland gemocht, was sie für ihn kochte. Aber das hatte sich ungefähr zu der Zeit geändert, als er begann, "Überstunden" zu machen. Plötzlich war ihm ihr Fleisch zu zäh, die Frühstückseier – wenn sie denn mal gemeinsam frühstückten – zu hart, das Gemüse verkocht. Und überhaupt – Roland hasste Gemüseeintopf.
Und Sabine hasste Roland.
Heute Abend hatte er die Küche betreten, während sie das Essen vorbereitete. Sie wusste, es würde ihn wütend machen, wenn es ausgerechnet Gemüseeintopf zum Abendessen gäbe. Schließlich hasste er ihn.
Aber bald würde er merken, dass der Gemüseeintopf ihn auch nicht besonders mochte.
Sabine kaufte das Gemüse immer auf dem Markt. Daheim entstand dann ihr "Zaubertrank", der ihr die Kraft gab, mit allem fertig zu werden. Sie füllte den fertigen Eintopf in Plastikbeutel, die sie vorsichtig in der Gefriertruhe verstaute.
Einen solchen tiefgefrorenen Plastikbeutel hatte sie auch heute Abend aus der Truhe geholt. Einen besonders großen, den sie extra vorbereitet hatte. Er sollte schließlich auch für Roland reichen!
Ohne Gruß hatte er sofort losgelegt: "Spinnst du? Du weisst genau, dass ich das Zeug hasse!"
Sabine hatte sich herumgedreht, den steinharten Beutel in der Hand. "Das, mein Schatz," hatte sie geantwortet, "beruht auf Gegenseitigkeit."
Die Heftigkeit des Schlages, der ihn an der Schläfe traf, hatte Roland einige Schritte taumeln lassen, bevor er schließlich dorthin stürzte, wo er auch jetzt noch lag.
Sabine steckte den Löffel und die leere Schale in den Geschirrspüler, löschte die Lichter und ging ins Schlafzimmer. Sie würde ihr Nachthemd tragen, wenn sie der Polizei berichtete, sie hätte dumpfe Geräusche gehört und ihren Mann so vorgefunden. Der Einbrecher musste mit einem stumpfen Gegenstand zugeschlagen haben.
Diesen Gegenstand sollten sie erst einmal finden.
Copyright Esther Koch 12.02.2011
Ich werde es versuchen.
vor 2 Stunden
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