Hier ist also der erste von immerhin fünf Sonntags-Pausen-Krimis. Aus dem sechsten wurde deshalb nie etwas, weil der sich damals zu einem Roman aufgebläht hat und sich nicht mehr so einfach in einer Pause lesen lässt.
Teufelsbraten
Dieses Abendessen würde alles ändern.
Nie konnte er ihr etwas recht machen. Nichts hatte sie ihm je zugetraut. "Aus dir wird ja doch nie was." Tausende Male hatte er sie das sagen hören. "Du bist genauso ein Nichtsnutz wie dein Vater."
Während er das Fleisch ablöschte, dachte er daran, welches liebevolle Verhältnis andere Söhne zu ihren Müttern hatten.
Er testete, ob die Kartoffeln schon gar waren. Andere Söhne in seinem Alter wohnten nicht mehr bei ihrer Mutter. Sie hatten eine eigene Familie.
Er schmeckte die Soße ab und fügte noch etwas Sahne hinzu. Andere Söhne hatten auch keine Mutter, die es immer wieder schaffte, ihr "Kind" davon abzuhalten, eine eigene Existenz aufzubauen, ein eigenes Leben zu leben.
Er schnitt den Braten in Scheiben und richtete einige Stücke auf zwei Tellern an.
Einmal hatte er mit gepackten Koffern vor ihr gestanden. "Ach, mein armes Herz," hatte sie gejammert. Wie gelang es ihr nur immer wieder, ihn mit ihren Schauspielkünsten zu überzeugen? "Du willst mich also auch verlassen, wie dein versoffener Vater. Dabei habe ich alles aufgegeben für den Taugenichts. Und was hatte ich davon? Erst hat er mich betrogen, dann hat er sich totgesoffen. Und du?" Sie hatte sich in einen Sessel fallen lassen und eine Hand auf ihre Brust gepresst. "Dann geh doch," hatte sie gezischt. "Wirst schon sehen, was du davon hast. Bring mich ins Grab. Dabei kommst du doch alleine gar nicht zurecht. Was bist du denn schon? Ein Nichts. Wie dein Vater."
Warum hatte er sich damals nicht einfach herumgedreht und war gegangen? Weil er ihr geglaubt hatte, dass sie sein Weggehen nicht überleben würde und dass er ein Nichts war, das alleine nicht zurecht kommen würde. Was wäre denn, wenn sie recht hätte?
Er schüttelte den Kopf, um die Erinnerung loszuwerden und stellte fest, dass sich um den Boden des Topfes mit den Kartoffeln ein weißer, schäumender Ring gebildet hatte. Schnell schaltete er die Platte aus und goss das Wasser ab.
Kartoffeln auf beide Teller, Soße darüber – dann ... das Gewürz auf den einen. Mutter mochte es nun mal pikanter. Jetzt musste es schnell gehen, damit der Geschmack sich nicht veränderte.
"Wo bleibt das verdammte Essen?" Er nahm in jede Hand einen Teller. "Schon unterwegs, Mutter!"
Er ging hinüber ins Esszimmer. Den Teller mit besonders viel Soße stellte er vor seine Mutter. "Bestimmt wieder versalzen," murmelte sie, nahm ein großes Stück Kartoffel, tunkte es in die Soße und steckte es in den Mund. "Klar," sagte sie kauend. "Versalzen."
Auch ein nettes letztes Wort, dachte er drei Minuten später, als sie vor ihm auf dem Linoleum lag.
Er hatte ihr nie erzählt, dass er montags ausnahmsweise keine Überstunden im Büro machte, sondern zu einem Kochkurs bei einem gewissen Fräulein Adelheid an der Abendschule ging. Fräulein Adelheid hielt ihn nicht für ein Nichts. Ganz im Gegenteil! Und Fräulein Adelheid hatte noch ein ganz besonderes Hobby: schwer nachzuweisende, exotische Gifte, die am besten in Fleischsoßen gereicht wurden.
Copyright Esther Koch 05.02.2011.
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