Per Anhalter durch meine Galaxis - Gedanken und Geschichten nicht nur von dieser Welt

"The following statement is false:
The previous statement is true.
Welcome to our corner of the universe

Anonymous
Seefra Denizen
CY 10210"
(Andromeda: The Past is Prolix)

Montag, 23. April 2012

Hamlet und Brutus – Ein kurzer Vergleich der Figuren Shakespeares

Friedrich Schiller bezeichnete 'Hamlet, Prinz von Dänemark' als "Tragödie des Denkens". Ein Terminus, der durchaus auch auf 'Julius Cäsar' passen könnte, soweit es die Figur des Marcus Brutus betrifft. Es sind beides große 'Denker', allerdings mit unterschiedlichem Erfolg.

Der Stoiker und der Gefühlsmensch
Beide, Hamlet und Brutus, sind 'tragische Helden', die an der ihnen gestellten Aufgabe zugrunde gehen.
Ein erster, äußerlicher Unterschied jedoch offenbart sich in der Tatsache, dass Brutus als Stoiker seine Gefühle nie zeigt, während Hamlet sie offen ausdrückt. Er macht keinen Hehl daraus, wenn er liebt (seine Eltern, Ophelia, Yorick) und wenn er hasst (Claudius) oder verachtet (Polonius, Rosenkrantz & Guildenstern).

Der Rächer und der Bewahrer
Hamlet und Brutus stehen beide vor der schrecklichen Aufgabe, das Oberhaupt ihres Staates zu töten.
Hamlets Beweggrund ist ein Racheauftrag, ihm übertragen vom Geist seines von Bruderhand ermordeten Vaters und vorherigen Königs. Hamlet soll einen Königsmord begehen, um einen Königsmord zu rächen. Das elisabethanische Publikum war hin und her gerissen zwischen dem Entsetzen über den Mord am von Gott eingesetzten Monarchen und der Abscheu über den Brudermord. So ist bald nach Beginn des Stückes klar: Claudius, der Brudermörder und neue König, ist ein Monster, Hamlet dagegen derjenige, der "zur Welt, sie einzurichten, kam!" (Akt I, Szene 5)

Das Motiv des Brutus ist die Vaterlandsliebe, das Monster, das es zu erschlagen gilt, ist der Ambitionen entwickelnde Julius Cäsar, welcher "wünscht, gekrönt zu sein." (II, 1) Cassius macht sich den Idealismus des Brutus zunutze und gewinnt ihn für eine Verschwörung, die die Republik bewahren soll. Er schürt in ihm die Angst von etwas, das Cäsar werden könnte und lässt ihn vergessen, was Cäsar ist, nämlich sein Freund, von dem er eigentlich noch nie erlebt hat, "dass ihn die Leidenschaften mehr beherrscht, als die Vernunft." (II, 1)

Hamlet soll die aus den Fugen geratene Welt wieder einrenken, Brutus will verhindern, dass eine solche Unordnung zustande kommt.


Denken und Handeln
Brutus erfüllt seine Aufgabe nach langer Überlegung. Er kommt zwar bald nach der Überzeugungsarbeit des Cassius zu dem Schluss "Es muss durch seinen Tod geschehen." (II, 1) Aber auch danach noch wägt er doch das Für und Wider gründlich ab. Aber schließlich hat er sich entschieden und weicht nicht mehr von seinem Vorhaben. Dennoch fällt es ihm keineswegs leicht, seinen Freund einem Ideal zu opfern. Er hat lange überlegt und sich die Entscheidung natürlich nicht leicht gemacht.
"Seit Cassius mich spornte gegen Cäsar, schlief ich nicht mehr." (II, 1)
Er ist dann auch erst der Letzte, der schließlich auf Cäsar einsticht.

Hamlet denkt bekanntermaßen oft und lange nach, aber nicht in erster Linie über den Auftrag, seines Vaters Tod zu rächen. Er wird bereits durch seines Vaters Tod und die schnelle zweite Ehe seiner Mutter zum Inbegriff des Melancholikers. Nach der Unterredung mit dem Geist seines Vaters, packt ihn endgültig der Weltschmerz und wird zum Hauptmotiv seiner Gedanken: "Wie ekel, schal und flach und unersprießlich scheint mir das ganze Treiben dieser Welt!" (I, 2)
Aber Hamlet vergisst seinen Auftrag nicht. Er wird nur durch langes Grübeln am Handeln gehindert. Hamlet trifft Claudius eines Abends alleine an, nutzt aber seine Chance zur Rache nicht, da ein Gedanke ihn bremst.
Ein entschlossenes, akutes Handeln Hamlets an genau dieser Stelle hätte übrigens geschlagene sieben Menschenleben gerettet (Polonius, Rosenkrantz, Guildenstern, Ophelia, Laertes, Gertrud, Hamlet selbst)!
Kurz darauf, während einer zornigen Konfrontation mit seiner Mutter, hört er Polonius hinter dem Vorhang, zückt er sein Schwert und sticht zu, in Erwartung, den König vor sich niederfallen zu sehen. Eine erfolgreiche - wenn auch fehlgeleitete – Affekthandlung, ohne vorherige Überlegungen.
So ist auch letzten Endes der Mord an Claudius nicht das direkte Ergebnis einer umfangreichen Diskussion Hamlets mit sich selbst und seinem Gewissen, sondern er tötet auch ihn im Affekt, aus Anlass der sich überstürzenden Ereignisse, denn er rächt damit sich und seine Mutter.

Brutus muss denken, bevor er handeln kann; Hamlet darf nicht erst denken, wo  er handeln muss.



Primärquellen:
Shakespeare, William: Hamlet, Prinz von Dänemark, Übersetzt von A.W. v. Schlegel, Reclam Verlag, Stuttgart, 1969
Shakespeare, William: Julius Cäsar, Übersetzt von A.W. v. Schlegel, Reclam Verlag, Stuttgart, 1969

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Author's remark to whom it may concern: I'm still a Stratfordian!


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