Das Paar am Nebentisch ist vor ein paar Minuten hereingekommen. Sie setzen sich nebeneinander an zwei zusammen geschobene Tische. Sie dreht sich halb zu ihm herum. Sie unterhalten sich. Sie unterhalten sich angeregt. Er lächelt, sie lacht. Sie trinkt etwas von ihrem Wein, er von seinem Bier. Sie reden weiter.
Plötzlich wird aus der Unterhaltung eine Diskussion. Das Lächeln verschwindet aus den Gesichtern, aus den Augen. Er beginnt zu gestikulieren, ihre Worte werden weniger. Er dreht sich von ihr weg, zum Tisch hin. Sie wird abwechselnd bleich und rot. Sie schweigen, sehen einander nicht mehr an, sehen aneinander vorbei ins Leere.
Das Essen wird serviert. Schweigend wenden sie sich ihren Pizzas zu. Sie beginnt zu essen, stellt irgendwann fest, dass sie immer noch viertels zu ihm hingedreht ist und korrigiert ihre Haltung.
Sie scheint mit den Tränen zu kämpfen. Nicht sofort, erst nach ungefähr der halben Pizza. Aber sie bleibt tapfer. Versucht sie, an etwas Anderes zu denken? Oder gelingt es ihr, den Schmerz in Wut verwandeln. Irgendetwas ist schief gegangen bei dieser Unterhaltung. Es hat gut begonnen, dann aber eine falsche Wendung genommen. Er isst, trinkt, denkt in sich hinein. Fragt sich, was genau gerade eben hätte anders laufen müssen. Was genau vor langer Zeit hätte anders laufen müssen.
Er wendet seinen Kopf zu ihr, stellt eine Frage. Sie überlegt, wiegt ihren Kopf leicht hin und her. Daraus wird schließlich ein Nicken. Ein paar Worte, leise, ohne ihn anzusehen. Er spricht weiter, isst weiter. Sie antwortet. Das Gespräch kommt wieder in Gang, stockt erneut.
Sie beendet ihre Mahlzeit, trinkt etwas Wein. Kurz darauf ist auch er fertig. Sie wischt sich mit der Serviette über den Mund, knüllt sie zusammen, trinkt, wischt noch einmal und wirft die Serviette auf den Teller. Er legt das Besteck über seinen Teller, Serviette am Mund, Serviette beim Besteck. Er spricht. Sie schweigt.
Er spricht wieder, sie schüttelt leicht aber trotzig den Kopf, greift in ihre Jackentasche und holt Papiertaschentücher heraus. Sie hat den Tränenkampf verloren. Er sieht sie schweigend an, verzweifelt, mit dem Willen um Bemühen. Er besteht auf einer Antwort. Sie tupft sich die Augen, putzt die Nase. Schweigt.
Ich frage mich, wird sie gleich aufspringen und gehen? Das wäre schwierig da sie beide mit dem Rücken an der Wand sitzen, und sie sitzt in der Ecke, müsste an ihm vorbei. Aber sie rührt sich nicht, trocknet nur ihre Augen.
Endlich spricht sie. Kurze Sätze, Pausen dazwischen. Er wendet den Blick ab. Überlegt, nickt. Sie redet weiter, die Sätze werden länger, ihre Augen trockener, ihr Glas leerer. Die Unterhaltung wieder lebendiger.
Sie bestellt noch ein Glas Wein und bittet um die Dessertkarte. Es gibt also doch noch etwas zu Sagen. Viel. Das Gespräch wird wieder angeregter, das Lächeln kehrt auf die Gesichter zurück. Aber aus ihren Augen bleibt es verschwunden. Die Minuten zuvor haben Spuren hinterlassen.
Die Kellnerin kommt mit dem Wein und der Karte. Man blättert, liest, redet. Er bestellt einen Kaffee, sie ein kleines Eis. Sie essen, trinken, er bezahlt.
Sie bleiben sitzen und reden weiter. Das Thema dürfte ein anderes sein als zuvor. Sie lacht springt auf, greift nach ihrer Jacke. Er sieht zu ihr auf, lächelt, steht ebenfalls auf, lässt sie vorbei.
Gemeinsam verlassen sie plaudernd das Lokal. Ich sehe ihnen nach.
Gleich oder nachher oder morgen wirst Du mich schelten, dass ich dem Paar am Nebentisch mehr Aufmerksamkeit geschenkt habe als Dir. Oder auch nicht. Weil Du es nicht gemerkt hast.
Das Paar am Nebentisch, das sind wir. Oder waren wir?
Per Anhalter durch meine Galaxis - Gedanken und Geschichten nicht nur von dieser Welt
"The following statement is false:
The previous statement is true.
Welcome to our corner of the universe
Anonymous
Seefra Denizen
CY 10210"
(Andromeda: The Past is Prolix)
The previous statement is true.
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4 Kommentare:
Schön geschrieben. Kenn ich, man redet, hat gute Laune und plötzlich kippt die Stimmung. Man kann sich ewig ärgern, muss man aber nicht! Die beiden haben es wieder zurück kippen lassen.
Danke. :-)
Das stimmt. Es war ein Up nach einem Down nach einem Up. Das Übliche also.
Mir gefällt vor allem der Twist am Ende, diese Perspektivenverschiebung. Ich hoffe nur, dass die Ich-Perspektive halt auch eher erzählerisches Stilmittel ist und nicht autobiographisches Element. Sonst fände ich das ziemlich schade!!!
Aber unabhängig von den Hintergründen: eine schöne, kleine Metapher für den alltäglichen Umgang miteinander - und wie schnell er, warum auch immer, aus den Gleisen laufen kann...
Vielen Dank. :-)
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