Per Anhalter durch meine Galaxis - Gedanken und Geschichten nicht nur von dieser Welt

"The following statement is false:
The previous statement is true.
Welcome to our corner of the universe

Anonymous
Seefra Denizen
CY 10210"
(Andromeda: The Past is Prolix)

Dienstag, 24. Dezember 2013

Das Geschenk


Das Geschenk


Es war einmal vor vielen Jahren ein kleines Dorf am Fuße eines großen Berges, umgeben von Wald und Feldern. Dort lebte und arbeitete ein alter Lehrer, der in seinem langen Schulleben viele Kinder von ihrem ersten bis zu ihrem letzten Schultag unterrichtet und begleitet hatte. Er hatte gesehen, wie sie groß geworden waren, seine Schule verlassen, geheiratet und selber Kinder bekommen hatten, die ebenfalls eines Tages in seine Schule gegangen waren. Oder er war dabei gewesen, als sie von der Dorfgemeinschaft verabschiedet worden waren, weil sie in die Welt hinausziehen und dort ihr Glück suchen wollten.

Nun war das letzte Weihnachtsfest nahe, das er gemeinsam mit seinen zehn kleinen und größeren Schülern feiern wollte. Danach würde er in den Ruhestand gehen. Eine junge Lehrerin würde im neuen Jahr seinen Platz in der kleinen Schule einnehmen.

Zum Abschluss seines letzten Jahres wollte der alte Lehrer seinen Schülern noch einmal eine letzte Hausaufgabe stellen. Eine besondere Hausaufgabe sollte es sein, die ihm zeigen würde, ob seine Schüler bei ihm nicht nur Rechnen und Latein und Singen gelernt hatten, sondern auch etwas, das darüber hinaus wichtig wäre.
Auch ihren Eltern, die er ebenfalls bereits unterrichtet hatte, wollte er diese Aufgabe stellen. Genauso seinen anderen früheren Schülern, die heute im Gemeinderat saßen oder andere wichtige Ämter innehatten.

Diese Aufgabe lautete: Was würdest Du dem Jesuskind zum Geschenk machen?

Viele der ehemaligen Schüler, die nun Eltern waren, sagten sich, was will der alte Tor von uns? Wir sind nicht mehr seine Schüler! Was gibt er uns jetzt noch Hausaufgaben? und weigerten sich, etwas beizutragen.

Andere schrieben tatsächlich etwas auf und gaben es ihren Kindern mit in die Schule. Darunter waren viele praktische, wertvolle und nützliche Ideen.

"Ich schenke dem Jesuskind einen gusseisernen Ofen, damit es im Stall nicht friere." Oder:
"Ich schenke ihm wollene Decken, gegen die kalten Nächte auf seinen Reisen."
Oder :
"Ich schenke ihm Windeln." - "Einen Sack Kartoffeln" oder "Getreide." - "Eine Flasche Wein."

Auch der Dorfpfarrer war schon bei dem alten Lehrer in die Schule gegangen. "Ich schenke dem Christuskind Kerzen, mit denen es die Dunkelheit vertreiben kann."

Genauso der Arzt: "Ich schenke ihm Heilkräuter, damit es gesund bleibe."

Jeder nannte das, was ihm selbst am nützlichsten erschien.

Bei den Kindern war es nicht anders. Jedes hatte eine großzügige Idee, was man dem Neugeborenen bringen könnte.

"Ich schenke ihm ein warmes Mäntelchen."
"Mein Vater ist Imker. Ich schenke dem Kind ein Glas Honig."
"Wir haben viele Ziegen und Schafe. Da kann es ein Lämmlein und ein Zicklein bekommen, damit es immer Milch und Wolle hat."
Des Gutsbesitzers Sohn, der bald alt genug sein würde, die Schule zu verlassen, dachte praktisch: "Mein Vater will einen Ofen schenken. Da bekommt es von mir die Kohle dazu."
Die kleine Tochter des Bäckers hatte die Idee: "Ich backe dem Jesuskind ein Lebkuchenhaus."

Drei der Buben in des alten Lehrers Klasse waren Brüder und meinten, sich ganz schlau anzustellen, als sie zusammen nur ein Heft abgaben, in dem stand: "Wir machen es wie die Heiligen drei Könige und bringen dem Jesuskind Gold, Weihrauch und Myrrhe."

Ein anderer größerer Junge, von dem der alte Lehrer schon lange vermutete, dass er bestimmt eines Tages Bürgermeister werden würde, hatte einen besonders vorausschauenden Einfall: "Ich schenke dem Kind meinen Leiterwagen, damit es die vielen Geschenke, die es sicherlich bekommt, nicht tragen muss."

Der Lehrer hatte viel zu schmunzeln und wurde doch immer nachdenklicher bei der Lektüre der abgegebenen Hefte.

"Es sind alles brave Leute und gute Kinder," dachte er bei sich. "Sie geben gerne von dem Wenigen, das sie selbst besitzen. Aber sind es wirklich diese Dinge, die dem Christuskind gefallen würden?"
War es wirklich das Richtige, was seine Schüler von ihm gelernt hatten?

Nun lag nur noch ein kleines Heft vor dem alten Lehrer. Es war knitterig und hatte Flecken und Risse am Rand. Die Aufgabe war nicht an einem sauberen Tische ausgeführt worden, sondern dieses Kind hatte dabei auf dem Boden gesessen, wohl ganz nah am kleinen aber wärmenden Feuer, das Heftchen auf dem Schoße.

Es gehörte dem jüngsten Kind in des alten Lehrers Schule, einem kleinen Mädchen, das gerade erst Lesen und Schreiben gelernt hatte, und das einzige Kind einer sehr armen Familie war.

"Ich habe leider nichts," hatte das kleine Mädchen geschrieben, "das ich hernehmen und zur Krippe bringen könnte. Aber ich habe dem Herrn Lehrer und dem Herrn Pfarrer immer brav zugehört und habe gelernt, dass das Jesuskind nichts lieber möchte, als dass wir alle einander von Herzen lieb haben. Also schenke ich dem Jesuskind meine Liebe. Davon hab ich genug, sodass sie auch dann immer noch für meine Mama und mein Schwesterchen im Himmel, meinen Papa, meine Oma und alle Menschen in unserem Dorf reicht."

Da erkannte der alte Lehrer, dass er seine Frage falsch gestellt hatte. Sie hätte nicht lauten sollen "Was würdest du schenken?", sondern "Was würde das Jesuskind wollen, dass du schenkst?"

Dieses kleine Mädchen hatte es besser verstanden als er, wie wichtig und wertvoll die Liebe eines Kindes für die Welt sein kann.

Frohe Weihnachten.


Copyright Esther Koch 18. Dezember 2013

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