Das
Geschenk
Es
war einmal vor vielen Jahren ein kleines Dorf am Fuße eines großen
Berges, umgeben von Wald und Feldern. Dort lebte und arbeitete ein
alter Lehrer, der in seinem langen Schulleben viele Kinder von ihrem
ersten bis zu ihrem letzten Schultag unterrichtet und begleitet
hatte. Er hatte gesehen, wie sie groß geworden waren, seine Schule
verlassen, geheiratet und selber Kinder bekommen hatten, die
ebenfalls eines Tages in seine Schule gegangen waren. Oder er war
dabei gewesen, als sie von der Dorfgemeinschaft verabschiedet worden
waren, weil sie in die Welt hinausziehen und dort ihr Glück suchen
wollten.
Nun
war das letzte Weihnachtsfest nahe, das er gemeinsam mit seinen zehn
kleinen und größeren Schülern feiern wollte. Danach würde er in
den Ruhestand gehen. Eine junge Lehrerin würde im neuen Jahr seinen
Platz in der kleinen Schule einnehmen.
Zum
Abschluss seines letzten Jahres wollte der alte Lehrer seinen
Schülern noch einmal eine letzte Hausaufgabe stellen. Eine besondere
Hausaufgabe sollte es sein, die ihm zeigen würde, ob seine Schüler
bei ihm nicht nur Rechnen und Latein und Singen gelernt hatten,
sondern auch etwas, das darüber hinaus wichtig wäre.
Auch
ihren Eltern, die er ebenfalls bereits unterrichtet hatte, wollte er
diese Aufgabe stellen. Genauso seinen anderen früheren Schülern,
die heute im Gemeinderat saßen oder andere wichtige Ämter
innehatten.
Diese
Aufgabe lautete: Was würdest Du dem Jesuskind zum Geschenk machen?
Viele
der ehemaligen Schüler, die nun Eltern waren, sagten sich, was will
der alte Tor von uns? Wir sind nicht mehr seine Schüler! Was gibt er
uns jetzt noch Hausaufgaben? und weigerten sich, etwas beizutragen.
Andere
schrieben tatsächlich etwas auf und gaben es ihren Kindern mit in
die Schule. Darunter waren viele praktische, wertvolle und nützliche
Ideen.
"Ich
schenke dem Jesuskind einen gusseisernen Ofen, damit es im Stall
nicht friere." Oder:
"Ich
schenke ihm wollene Decken, gegen die kalten Nächte auf seinen
Reisen."
Oder
:
"Ich
schenke ihm Windeln." - "Einen Sack Kartoffeln" oder
"Getreide." - "Eine Flasche Wein."
Auch
der Dorfpfarrer war schon bei dem alten Lehrer in die Schule
gegangen. "Ich schenke dem Christuskind Kerzen, mit denen es die
Dunkelheit vertreiben kann."
Genauso
der Arzt: "Ich schenke ihm Heilkräuter, damit es gesund
bleibe."
Jeder
nannte das, was ihm selbst am nützlichsten erschien.
Bei
den Kindern war es nicht anders. Jedes hatte eine großzügige Idee,
was man dem Neugeborenen bringen könnte.
"Ich
schenke ihm ein warmes Mäntelchen."
"Mein
Vater ist Imker. Ich schenke dem Kind ein Glas Honig."
"Wir
haben viele Ziegen und Schafe. Da kann es ein Lämmlein und ein
Zicklein bekommen, damit es immer Milch und Wolle hat."
Des
Gutsbesitzers Sohn, der bald alt genug sein würde, die Schule zu
verlassen, dachte praktisch: "Mein Vater will einen Ofen
schenken. Da bekommt es von mir die Kohle dazu."
Die
kleine Tochter des Bäckers hatte die Idee: "Ich backe dem
Jesuskind ein Lebkuchenhaus."
Drei
der Buben in des alten Lehrers Klasse waren Brüder und meinten, sich
ganz schlau anzustellen, als sie zusammen nur ein Heft abgaben, in
dem stand: "Wir machen es wie die Heiligen drei Könige und
bringen dem Jesuskind Gold, Weihrauch und Myrrhe."
Ein
anderer größerer Junge, von dem der alte Lehrer schon lange
vermutete, dass er bestimmt eines Tages Bürgermeister werden würde,
hatte einen besonders vorausschauenden Einfall: "Ich schenke dem
Kind meinen Leiterwagen, damit es die vielen Geschenke, die es
sicherlich bekommt, nicht tragen muss."
Der
Lehrer hatte viel zu schmunzeln und wurde doch immer nachdenklicher
bei der Lektüre der abgegebenen Hefte.
"Es
sind alles brave Leute und gute Kinder," dachte er bei sich.
"Sie geben gerne von dem Wenigen, das sie selbst besitzen. Aber
sind es wirklich diese Dinge, die dem Christuskind gefallen würden?"
War
es wirklich das Richtige, was seine Schüler von ihm gelernt hatten?
Nun
lag nur noch ein kleines Heft vor dem alten Lehrer. Es war knitterig
und hatte Flecken und Risse am Rand. Die Aufgabe war nicht an einem
sauberen Tische ausgeführt worden, sondern dieses Kind hatte dabei
auf dem Boden gesessen, wohl ganz nah am kleinen aber wärmenden
Feuer, das Heftchen auf dem Schoße.
Es
gehörte dem jüngsten Kind in des alten Lehrers Schule, einem
kleinen Mädchen, das gerade erst Lesen und Schreiben gelernt hatte,
und das einzige Kind einer sehr armen Familie war.
"Ich
habe leider nichts," hatte das kleine Mädchen geschrieben, "das
ich hernehmen und zur Krippe bringen könnte. Aber ich habe dem Herrn
Lehrer und dem Herrn Pfarrer immer brav zugehört und habe gelernt,
dass das Jesuskind nichts lieber möchte, als dass wir alle einander
von Herzen lieb haben. Also schenke ich dem Jesuskind meine Liebe.
Davon hab ich genug, sodass sie auch dann immer noch für meine Mama
und mein Schwesterchen im Himmel, meinen Papa, meine Oma und alle
Menschen in unserem Dorf reicht."
Da
erkannte der alte Lehrer, dass er seine Frage falsch gestellt hatte.
Sie hätte nicht lauten sollen "Was würdest du schenken?",
sondern "Was würde das Jesuskind wollen, dass du schenkst?"
Dieses
kleine Mädchen hatte es besser verstanden als er, wie wichtig und
wertvoll die Liebe eines Kindes für die Welt sein kann.
Frohe
Weihnachten.
Copyright
Esther Koch 18. Dezember 2013
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