Per Anhalter durch meine Galaxis - Gedanken und Geschichten nicht nur von dieser Welt

"The following statement is false:
The previous statement is true.
Welcome to our corner of the universe

Anonymous
Seefra Denizen
CY 10210"
(Andromeda: The Past is Prolix)

Sonntag, 17. Juni 2012

Sonntags-Pausen-Krimi 17: Kälte

Kälte

Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie diese Kälte zum ersten Mal gespürt hatte. Gelegenheiten, Situationen hatte es genug gegeben, gab es genug. Ihre deprimierende Kindheit, ihr widerlicher Job, ihre lieblose Ehe.
    Die Kälte war schon lange nicht mehr nur tief in ihr drin. Sie hatte sich langsam ausgebreitet, bis sie sie völlig ausgefüllt hatte. Und mittlerweile umgab die Kälte sie wie ein Kokon.
    Sie strich sich die Haare aus der Stirn, ließ den Arm sinken und stieß sich den Ellbogen. Warum musste so etwas immer ihr passieren?
    Wieso fiel sie immer auf die falschen Kerle herein? Zuerst waren sie nett und höflich, zuvorkommend. Bis sie hatten, was sie wollten. Dann wurden sie kalt und abweisend.
    Nur leider hatte sie den letzten aus einer Laune heraus geheiratet. Da konnte man nicht einfach so gehen. Oder wegschicken. Da konnte man sich nur noch mit einem Kokon aus Kälte schützen.
    Die Kälte umhüllte sie. Sie fror, zog die Jacke enger um sich. Es war Juni, wie konnte sie nur dermaßen frieren?
    Sie wollte die Beine übereinander schlagen, und ein heftiger Schmerz durchfuhr ihr Knie. Schon wieder gestoßen.
    Heute war sie wieder besonders ungeschickt. Deshalb hatte ihr Mann sie auch aus der Küche gejagt, weil er die Drinks heute Abend lieber selbst mixen wollte. Damit sie nicht wieder alles verschüttete.
    Ein Cocktail am Abend. Schweigend natürlich. Ihre letzte Gemeinsamkeit.
    Er kam mit den Gläsern aus der Küche. Sie wollte aufstehen und ihm entgegengehen. Der Schmerz an ihrer Stirn nahm ihr den Atem! Wo sollte sie sich denn jetzt gestoßen haben? Die Lampe über dem Esstisch hing nicht tief genug.
    Ihr Mann kam mit den Gläsern auf sie zu, und mit ihm eine immer größere Kälte.
    Sie spürte nun, dass ihr das Atmen schwer fiel. Eine Hand auf der Brust, streckte sie ihm die andere entgegen. Vielleicht würde sie nach einem Drink wieder leichter Luft bekommen.
    Das Knacken und Stechen in ihren Fingern ließ sie aufschreien, als diese heftig gegen einen Widerstand krachten.
    Lächelnd hielt ihr Mann ihr das Cocktailglas entgegen. Sie ignorierte es und tastete stattdessen mit den Händen vorsichtig um sich, um die unsichtbare Barriere zu finden. Oben, vorne, rechts, links. Sie war umgeben von … was?
    Die Luft war inzwischen unerträglich dick und eiskalt. Lange würde sie nicht mehr bei Bewusstsein bleiben können.
    Auch ihren gesamten Rücken hinauf spürte sie jetzt einen einzigen Druck, Berührung. Ihr Gesäß, ihre Beine, die Fersen … sie saß nicht am Esstisch! Sie lag!
    Während sie nach Luft schnappend weiter ihre Umgebung abtastete, sah sie sich selber das Cocktailglas ergreifen.
    Sie erfühlte Seidenstoff und Polster um sich herum und spürte das Getränk warm ihre Kehle hinabrinnen.
    Sie griff sich wieder an die Brust und fragte sich, wann sie sich diese schreckliche Rüschenbluse angezogen hatte, während sie sich über den ungewohnt bitteren Geschmack des Cocktails wunderte.
    Sie versuchte vergebens, den dickgepolsterten Widerstand vor sich .. über sich … fortzuschieben. Ein kraftloser, ungehörter Schrei begleitete die Erinnerung an das Glas, das ihr zerbrechend aus der Hand fiel, ihren Sturz vor die Füße ihres immer noch lächelnden Mannes, die scheinbar fruchtlosen Wiederbelebungsversuche der Sanitäter, die Stimmen ihrer Angehörigen während der … Trauerfeier.
    Ihre verzweifelten Versuche, mit den Menschen um sie herum Kontakt aufzunehmen, ihnen mitzuteilen, dass das Gift nicht gewirkt hatte! Dass sie … noch lebte!
    Und die Kälte, von der sie für immer erfüllt und umfangen sein würde, nachdem sich der Deckel über ihr geschlossen hatte.


Copyright Esther Koch 15. Juni 2012

2 Kommentare:

Wolfgang Weitzdörfer hat gesagt…

Heieiei... Das ist ja mal starker Tobak!! Aber wieder super geschrieben... :-)

Trillian hat gesagt…

Gracias. :-)